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Ab nach vorne: Warum immer mehr Gitarristinnen das Scheinwerferlicht stürmen
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Ab nach vorne: Warum immer mehr Gitarristinnen das Scheinwerferlicht stürmen

Die Musikbranche ist immer noch männlich dominiert – und oft sind es Gitarristen, die die Bühne rocken. Annie Chops und andere Künstlerinnen wollen das ändern.

  • Text:
    Iris Soltau
  • Fotos:
    Tim Adler

Die Frau mit der kirschroten Flying-V-Gitarre unterstützte Mark Foster nicht nur bei seinen Live-Konzerten im vergangenen Jahr, sie war gleichzeitig auch als Opening Act gebucht. Und da brachte Annie Chops die Leute in Nullkommanichts zum kollektiven Hüpfen. Vor allem aber verzauberte sie die jüngeren Fans: »Von den Kindern, die bei Mark im Publikum sind, kamen so viele Mädels zu mir und wollten plötzlich auch Gitarre spielen – nur weil sie mich auf der Bühne gesehen hatten«, freute sie sich. »Diese Initialzündung, eine Frau mit diesem Instrument auf der Bühne zu erleben, und darüber hinaus zu begreifen, dass diese Rolle auch für einen selbst bestimmt sein könnte, die ist so wichtig.«

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»Diese Initialzündung, eine Frau mit diesem Instrument auf der Bühne zu erleben und darüber hinaus zu begreifen, dass diese Rolle auch für einen selbst bestimmt sein könnte, die ist so wichtig.«

– Annie Chops

Vom Sänger bis zum Schlagzeuger, vom Roadie bis zum Rockkritiker – die Musikindustrie wird immer noch überwiegend von Männern regiert. Auch beim Thema Gitarre denken die meisten sofort an Hendrix, Clapton oder Richards. Woran das liegt? Kulturelle Stereotypen und soziale Konditionierung sind ein Grund. Wir alle kennen das Klischee des coolen Gitarren-Dudes, der vorne am Bühnenrand steht und stundenlang seine Soli gniedelt, während das weibliche Publikum ihn anschmachtet. Tatsächlich beginnt das Dilemma schon viel früher, nämlich bei der Wahl eines Instruments: Gitarrespielen galt lange als typisches Jungs-Ding, es fehlten die weiblichen Vorbilder. Das aber scheint sich gerade zu ändern.


Eine aktuelle Studie des Gitarrenherstellers Fender ergab, dass sowohl in den USA als auch in Großbritannien bereits die Hälfte der Gitarreneinsteiger Frauen sind. Da ist vom »Swift-Faktor« die Rede, denn auch Taylor Swift startete ihre Karriere mit einer Westerngitarre. Trotzdem wollen nicht alle Popstars werden: 61 Prozent der Teilnehmenden der Fender-Studie gaben an, dass sie einfach nur Songs lernen wollten, um sie privat oder alleine zu spielen, und nicht, um auf der Bühne groß rauszukommen. In Deutschland ist die Gitarre laut einer Statista-Umfrage mit einem Anteil von 33 Prozent das beliebteste Instrument für Neueinsteiger – sogar noch vor dem Klavier.

Die Freiheit, die sie sich erspielt hat, ist ein Zeichen für alle jungen Musikerinnen selbstbewusst das Scheinwerferlicht zu suchen.

An erfolgreichen Gitarristinnen und Gitarrenbands mit Frauen an der Spitze mangelt es nicht. Dazu gehören die Brit-Award-Gewinnerin Laura Marling oder die kalifornische Band Haim, in der die Schwestern Alana und Danielle Haim ihren ureigenen Gitarrenstil geprägt haben. Oder die Britin Sophie Lloyd, die den Rap-Rocker Machine Gun Kelly bei seinen Live-Auftritten unterstützt und selber auf Social Media eine große Fanbase hat. Auch die Jazzmusikerin Esperanza Spalding gilt als virtuose Gitarristin.

»Gitarrespielen ist wie eine Form der Befreiung. Es erlaubt mir, meine Stimme auf eine einzigartige Weise zu finden und auszudrücken, die über Geschlechtergrenzen hinausgeht.« Das Zitat stammt von St. Vincent, mit bürgerlichem Namen Annie Clark, die zu den herausragenden Gitarristinnen ihrer Generation zählt. Sie zeigt eine beeindruckende Fingerfertigkeit und Präzision in ihrem Spiel und verwebt ihre Texte geschickt mit ihren Gitarrenarrangements, um emotionale und musikalische Geschichten zu erzählen. Auch St. Vincent hat viele junge Frauen inspiriert und ermutigt, die Gitarre als kreatives Werkzeug zu nutzen.

Zurück zu Annie Chops. Die Freiheit, die sie sich erspielt hat, ist ein Zeichen für alle jungen Musikerinnen, sich nicht zu verstecken, sondern selbstbewusst das Scheinwerferlicht zu suchen. Egal ob als Straßenmusikerin oder auf den Bühnen der Clubs, Annie ist nicht zurückhaltend, sie geht nach vorne und zeigt, was sie kann. Sie kämpft sich schon seit einigen Jahren durch ein männlich dominiertes Feld – und gibt sich vorsichtig optimistisch: »Ich glaube, es hat sich schon einiges getan. Aber: Wir sind leider nach wie vor noch lange nicht am Ziel einer komplett gleichberechtigten Musikbranche.«

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